Mario Draghi, Präsident der Europäischen Zentralbank wird noch drei Sitzungen seines Zentralbankrates hinter sich bringen und in drei Pressekonferenzen die Beschlüsse des Gremiums erläutern, bevor er in die Geschichte eingehen wird als derjenige EZB-Präsident, der mit seinen Gefolgsleuten die Euro-Zone gerettet hat. Aber auch als derjenige, in dessen Amtszeit seit dem Jahr 2011 die Inflation nicht zurückgekommen und der Zins verschwunden ist und mit ihm alte Paradigmen der Geldpolitik. Und Draghi könnte, bevor er die Leitung der Zentralbank im November an die bisherige IWF-Chefin Christine Lagarde abgibt, die Geldpolitik der Euro-Zone weiter lockern, sehr zum Unmut der Banken in Deutschland, sehr zur Freude von Kreditnehmern. Schon in der Sitzung des EZB-Rats am Donnerstag in einer Woche könnte eine Entscheidung fallen.
Eine knappe Woche später steht eine weitere wegweisende Zinsentscheidung an. Der Offenmarktausschuss der US-Notenbank Fed dürfte Ende des Monats zum ersten Mal seit zehneinhalb Jahren gegensteuern und die Leitzinsen um mindestens einen viertel Prozentpunkt absenken. Fed-Chef Jerome Powell weckt seit einiger Zeit entsprechende Erwartungen. In der vergangenen Woche hatte Powell vor dem US-Kongress erstmals öffentlich erklärt, die Währungshüter hätten es mit den Leitzinserhöhungen der vergangenen Jahre möglicherweise übertrieben. Am Dienstagabend sagte Powell in einer Rede anlässlich der G7-Finanzministerkonferenz in Paris, die Zentralbank habe die Abwärtsrisiken für die US-Wirtschaft genau im Blick. Man werde „angemessen reagieren, um den Aufschwung zu bewahren“.
Die Ausgangslage der beiden Zentralbanken mag höchst unterschiedlich sein, die jeweiligen Gründe für eine Lockerung der Geldpolitik sind sehr ähnlich: Powell und Draghi sind mit den schwächsten Wachstumsaussichten seit einem Jahrzehnt konfrontiert, mit einer zu niedrigen Inflationsrate und mit einem Handelskonflikt, der die Konjunktur dies- und jenseits des Atlantiks zusätzlich ausbremst.
Ihre geldpolitischen Möglichkeiten aber sind begrenzt, und es ist schwer abzuschätzen, wie effektiv die angedachten Maßnahmen überhaupt noch sind. „Wir müssen weiterhin zusätzliche Strategien und Instrumente abwägen, um unsere Inflations- und Beschäftigungsziele zu erreichen“, sagte Powell in seiner Rede und forderte „neue Ideen“. Im 75. Jahr nach der Konferenz von Bretton Woods, mit der die internationale Zusammenarbeit in Währungs- und Handelsfragen besiegelt wurde, und nach weltweit 700 Zinssenkungen seit der großen Rezession scheint die Kreativität der Notenbanken erschöpft.
Der Leitzins in der Euro-Zone liegt seit dem Frühjahr 2016 bei null Prozent. Geschäftsbanken können sich damit kostenlos Geld bei der EZB leihen, verlangen für Kredite historisch niedrige Zinsen, zahlen im Gegenzug aber auch keine Zinsen mehr auf Spareinlagen. Mit Anleihekäufen über 2,7 Billionen Euro stabilisierte die EZB die Euro-Zone, drückte aber zugleich das allgemeine Zinsniveau noch weiter und nahm die Gefahr von Preisblasen auf den Aktien- und Immobilienmärkten in Kauf. Darunter leiden die Sparer.
Banken, die auf Geschäftskonten der Notenbank Geld parken, müssen darauf zur Zeit 0,4 Prozent Strafzinsen bezahlen – sie sollen ihre liquiden Mittel nicht bei der EZB einlagern, sondern durch Kredite an Kunden und andere Kreditinstitute in Verkehr bringen. Ihr Ziel, im Durchschnitt der Euro-Zone eine Inflationsrate unterhalb, aber nahe zwei Prozent zu erreichen, verfehlt die EZB trotzdem: Im Juni lag die Teuerungsrate bei nur 1,3 Prozent, mit sinkendem Trend. Und das ohnehin verhaltene Wachstum schwächt sich zusehends ab. Sehr zum Verdruss der Deutschen Kreditwirtschaft denkt das EZB-Präsidium deshalb darüber nach, den Einlagenzins weiter abzusenken. Spätestens im September könnte es soweit sein. „Wenn die EZB ihr Inflationsziel ernst nimmt, hat sie einen Grund, die Geldpolitik zu lockern“, sagt Holger Schmieding, Chefvolkswirt der Privatbank Berenberg. Der Einlagenzins stehe zur Diskussion, weil man ihn relativ einfach weiter absenken kann. „Das geldpolitische Argument ist klar. Ob das dann auch viel bringt, ist eine andere Frage“, sagt er.